Schreibwerkstatt
Schreibend Ideen entwickeln
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Schreibend Wissen und Ideen entwickeln – eine oft übersehene Chance

Schreiben ist mühsam. Es lohnt deshalb, sich klar zu machen: Nicht nur der fertig geschriebene Artikel ist wertvoll, auch der Weg dahin kann es sein. Wer sich auf den Prozess des Schreibens einlässt, kann neues Wissen entdecken und neue Ideen entwickeln. 

Wenn wir durch einen Park gehen, können wir über ein Thema nachdenken. Das kann durchaus produktiv sein. Doch hat diese Form des Nachdenkens ein großes Manko, wie der Schreibforscher Prof. Dr. Otto Kruse, bis 2015 Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Linguistik (ZHAW), in einem Video zu Bedenken gibt: „Wenn Sie am Ende des Parks angekommen sind, haben Sie vergessen, was Sie am Anfang überlegt haben.“

Anders verhält es sich, wenn wir nicht beim Spaziergengehen, sondern schriftlich über ein Thema nachdenken. Dann können wir unsere Einfälle notieren und jederzeit wieder auf sie zugreifen. Die Gedanken sind jetzt nicht nur gesichert, sondern bieten zudem die Möglichkeit, auf ihnen aufzubauen. So entsteht neues Wissen, es lassen sich neue Ideen entwickeln.

Epistemisches Schreiben

Schreiben ist ein Weg, „um Gedanken langsam zu präzisieren, zu prüfen und miteinander in Beziehung zu setzen“, erklärt Kruse. Der Wissenschaftler spricht von „epistemischem Schreiben“, einem Schreiben zur Wissensgewinnung. Auf dem Papier, so argumentiert er, lassen sich Gedanken erst einmal zwischenlagern, während man weiterdenkt und den nächsten Gedanken aufschreibt. „Blickt man dann zurück auf das, was man schon geschrieben hat, kann man das Neue mit den schon geschriebenen Ideen in Beziehung setzen.“ (Kruse, Lesen und Schreiben, S. 59)

Schreiben zur Wissensgewinnung – ein Aspekt, den näher zu betrachten sich lohnt. Viele Beraterinnen und Berater sind es gewohnt, ergebnisorientiert zu denken und zu handeln, so wird es von ihnen ja auch erwartet. Diese Haltung nehmen sie auch ein, wenn sie einen Fachartikel schreiben: Der soll mit möglichst wenig Aufwand möglichst zügig geschrieben sein. Manche von ihnen lassen ihre Texte deshalb auch von einem Ghostwriter schreiben. Indem sie jedoch auf das Ergebnis, einen guten Fachartikel, fixiert sind, vergeben sie die Chance, vom Prozess des Schreibens zu profitieren.

Der Schreibprozess für Fachartikel

Das Schreiben eines Fachartikels lässt sich in sechs Phasen einteilen (siehe Abbildung). Natürlich sind diese Phasen nicht in Stein gemeißelt, jeder Autor findet am Ende seinen eigenen Prozess. Dementsprechend unterschiedliche Schreibstrategien gibt es. Entscheidend ist jedoch, sich überhaupt einmal mit dem Prozess des Schreibens auseinanderzusetzen, um die darin liegenden Chancen zu entdecken und zu nutzen.

Der Schreibprozess: Fachartikel schreiben und Ideen entwickeln

Vier kreative Phasen: Der Schreibprozess für Fachartikel bietet gute Möglichkeiten, neues Wissen zu schaffen und Ideen zu entwickeln.

 

Die erste und die letzte Phase sind eher banal. Die Auswahl des Themas (Phase 1) ergibt sich in der Regel aus dem beraterischen Alltag – etwa aus der Projektarbeit oder aus aktuellen Ereignissen und Trends, die sich auf Ihre Zielgruppe auswirken. Hilfreich ist eine Liste, auf der Sie laufend mögliche Themen festhalten. Ebensowenig wartet die Schlussredaktion (Phase 6) mit kreativen Herausforderungen auf: Da müssen Sie noch einmal Zahlen, Fakten, Namen, Zitate und Schreibweisen überprüfen, um Fehler im veröffentlichten Text zu vermeiden.

Anders die Phasen 2 bis 5: Hier durchläuft der Schreibprozess kreative Phasen. Neben dem eigentlichen Ziel, einen guten Fachartikel zu schreiben, können Sie in diesen Prozessabschnitten auf unterschiedliche Weise auch neues Wissen schaffen und neue Ideen entwickeln.

Wie Sie beim Schreiben Wissen und Ideen entwickeln

Wenn Sie sich für ein Thema entschieden haben, sind Sie vom Inhalt des späteren Fachartikels noch weit entfernt. „Ein Thema ist noch lange keine Story“, heißt es bei Journalisten – und die erste Frage lautet: „Was ist da die Geschichte?“ Übertragen auf einen Fachartikel heißt das, sich zunächst einmal zu fragen: „Was will ich erzählen?“ Was im Journalismus der legendäre Küchenzuruf ist, bedeutet im Falle des Fachartikels die Festlegung auf eine Kernaussage oder Botschaft.

Botschaft formulieren

Phase 2 des Schreibprozesses („Botschaft formulieren“) zwingt zur Auseinandersetzung mit dem Thema: Was ist für die Leser wirklich wichtig? Was möchten Sie in dem Artikel unbedingt sagen? So entstehen Thesen und Botschaften. Am Ende haben Sie möglicherweise mehr Aspekte notiert, als sie berücksichtigen können – denn wenn Sie Fachartikel schreiben, gilt eine eherne Regel: Ein Fachartikel hat eine Botschaft, keine zwei oder drei.

Die Perspektive des Lesers einnehmen, Kerngedanken formulieren, Thesen zuspitzen, sich schließlich für eine Botschaft entscheiden: Das kann ein sehr produktiver Prozess sein. Er schafft Klarheit über das Thema – und quasi nebenbei fallen Aspekte an, aus denen Sie für künftige Artikel Ideen entwickeln können.

Strukturieren

Ausgehend von der Botschaft erstellen Sie in Phase 3 des Schreibprozesses („Strukturieren“) eine erste Gliederung des Artikels. Wenn ich zusammen mit einem Kunden eine Artikelstruktur erarbeite, nutze ich dafür in der Regel eine Mindmap: Wir sammeln und ordnen die Gedanken, schieben die Äste der Mindmap so lange hin und her, bis alles stimmig ist. Ziel ist es, dass wir beide den roten Faden erkennen. Ähnlich wie bei der Suche nach der Botschaft entstehen auch jetzt wieder neue Gedanken und Aspekte, die festzuhalten sich lohnt.

Das Strukturieren ist kreativer Prozess, an dessen Ende Sie einen Überblick über das haben, was Sie schreiben möchten. Aus vielen Teilstücken eines Puzzles ist ein Ganzes entstanden. Plötzlich wird klar: So funktioniert es, so „läuft“ der Artikel. Das gerade noch diffuse Wissen hat Gestalt angenommen.

Ein sehr befriedigender Augenblick. Denn folgt man der Gestalttheorie, suchen wir Menschen stets nach sinnvollen Zusammenhängen: Das menschliche Denken konstruiert Zusammenhänge zwischen bestimmten Elementen und formt daraus Gestalten – Einheiten, Kontexte, Figuren, Ordnungen.

„Dies scheint den evolutionären Sinn zu haben, die Vielfalt und Vielzahl empirischer Phänomene unter bestimmten Gesichtspunkten zusammenzufassen, zu ordnen, überschaubarer und erkennbarer zu machen, insgesamt also die verwirrende Komplexität möglicher Beobachtungen dadurch zu steuern, dass diese Komplexität in den Rahmen erkennbarer ‚Gestalten‘ und definierter Ordnungen gezwungen wird“, erklärt Helmut Willke, bis 2017 Professor für Global Governance an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, in seinem Buch Einführung in das systemische Wissensmanagement (S. 7f).

Genau diese Funktion erfüllt die gemeinsame Arbeit an der Mindmap: Hier fassen wir unterschiedliche Aspekte unter einen Zentralbegriff, bringen sie dadurch in eine Ordnung – und geben unserem Thema eine „Gestalt“.

Rohfassung schreiben

Nun endlich, in Phase 4, geht es ans Schreiben. Viele Autorinnen und Autoren sehen darin den eigentlichen kreativen Prozess, bei dem sie Klarheit gewinnen und Ideen entwickeln.

Schreiben heißt, „im Vertrauen auf die mögliche Eigendynamik des Schreibens darauf zu bauen, dass aus dem Fortschreiben der Wörter die Gedanken und die Ideen überhaupt erst entstehen“, meint etwa der Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem Artikel mit dem Titel Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. „Die Hand, die Worte niederschreibt oder in die Tastatur tippt, wird zum eigentlichen Organ des Denkens. Wer sich diesem Verfahren überlässt, wird mitunter erstaunt sein, was am Ende dann tatsächlich dasteht.“

Liessmann setzt allerdings voraus, dass der Schreibende an „keinerlei Vorgaben“ gebunden ist – was im Falle eines Fachartikels unrealistisch ist.

Dennoch: Die in Phase 3 erarbeitete Grobstruktur lässt Freiheiten zu. Wenn Sie die Rohfassung schreiben, können Sie sich im Rahmen der Gliederung dem Schreibfluss hingeben. Sie schreiben nieder, was Sie zu den einzelnen Gliederungspunkten sagen möchten. Autorinnen und Autoren bestätigen: Wenn sie im Schreibfluss sind, kommen sie „ins Denken hinein“. So erschließen sie sich schreibend ihr Wissen und können neue Ideen entwickeln.

Achten Sie darauf, im Schreibfluss zu bleiben. Lassen Sie sich nicht dazu verleiten, nach treffenderen Ausdrücken zu suchen, ignorieren Sie sprachliche Feinheiten – schreiben Sie einfach weiter. Wenn eine Recherchelücke auftaucht oder ein Detail geklärt werden muss, vermerken Sie das kurz an der betreffenden Stelle – und schreiben weiter. Verschieben Sie alle Korrekturen, Verbesserungen und Ergänzungen auf später, auf Phase 5.

Lassen Sie die Rohfassung über Nacht liegen.

Überarbeiten

Warum ist es so wichtig, eine gewisse Zeit, am besten eine Nacht verstreichen zu lassen, bevor Sie den Text überarbeiten? Der Abstand erlaubt es, die Rolle einer Leserin oder eines Lesers einzunehmen und den Text mit fremdem Blick zu prüfen. „Man wird zu seinem eigenen Leser“ – und kann sich aus dessen Perspektive mit dem Text auseinandersetzen, erklärt Sylvie Molitor-Lübbert in ihrer Dissertation „Der Lerneffekt beim Schreiben“ (Tübingen 2000).

In Phase 5, der Überarbeitung der Rohfassung, lassen sich meistens zwei Effekte beobachten:

Zum einen entdecken Sie Lücken oder Brüche in der Argumentation. Manches, was gestern beim Schreiben noch schlüssig erschien, wirft jetzt plötzlich Fragen auf. Beim Schreiben habe der Autor einen Kontext im Kopf, da passe alles noch gut zusammen, führt Sylvie Molitor-Lübbert aus. „Dieser Kontext wird aber nicht explizit niedergeschrieben, so dass bei späterer Lektüre dieser Mangel als Inkonsistenz oder Inkohärenz zu Bewusstsein kommen kann.“

So kommt es, dass Sie sich auch bei der Überarbeitung in aller Regel noch einmal intensiv mit Ihrem Text auseinandersetzen. Dadurch gewinnt die Argumentation an Tiefe und Präzision. Möglicherweise durchdenken Sie noch einmal einen Teil Ihrer Gliederung und verfassen eine Textpassage neu.

Der zweite Effekt: Sie stellen fest, dass Sie im Eifer des Schreibens abgeschweift sind. Ihr Text enthält Gedanken, die nicht wirklich in das Korsett der Gliederung passen. Auch wenn es schwerfällt: Streichen Sie diese Passagen, denn sie lenken den Leser vom eigentlichen Thema ab! Dennoch sind diese Gedanken wertvoll und können an anderer Stelle sehr nützlich sein – etwa um das eigene Angebot zu verbessern oder sogar auf neue Produktideen zu kommen.

Realitätscheck für Ihr Wissen

Bleibt festzuhalten: Das Schreiben eines Fachartikels zwingt dazu, sich intensiv mit seinem Thema zu beschäftigen. Im Verlauf des Schreibprozesses tauchen Sie tief in die Materie ein, durchdenken Ihre Thesen und erkennen, wo eine Argumentation nicht schlüssig ist. Das ist anstrengend, kostet Zeit, kann aber sehr lohnend sein: Sie entdecken neue Zusammenhänge, können Ideen entwickeln und Erkenntnisse gewinnen.

Nicht zuletzt hilft ein solcher Schreibprozess, das eigene Wissen wirklich zu durchdringen. Einer meiner Leser hat es hat es einmal so ausgedrückt: „Ein Artikel ist ein Realitätscheck, mit dem man sich unbestechlich prüfen kann, ob man das Thema auch im Detail verstanden hat und unmissverständlich und diskussionsfest wiedergeben kann.“

Gerade weil das Artikelschreiben ein so fordernder Prozess ist, kommt es auf eine effektive Vorgehensweise an. Wie Sie einen Fachartikel richtig angehen, erfahren Sie in einem kostenlosen E-Paper und in meinem Deutsch-Letter:

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