Selbstlern-Kurs „Artikel schreiben“

8 | Den Magneten installieren

Botschaft, Fallhöhe, Ausführungen zum Thema – auf den ersten Blick scheint der Artikel weitgehend fertiggestellt. Tatsächlich fehlt jedoch noch eine entscheidende Zutat, damit Ihr Artikel wirklich gelesen wird: der Magnet.

In dieser Lektion erfahren Sie,

  • warum Ihr Fachartikel einen Magneten haben sollte,
  • woraus genau sich dieser Magnet zusammensetzt,
  • wie Sie den Magneten für Ihren Artikel scharfschalten.

Es stimmt ja: Sie haben für Ihren Artikel eine klare Botschaft formuliert, in einigen Sätzen die Fallhöhe aufgebaut und das Thema ausgeführt. Was fehlt da noch? Die meisten Autoren überarbeiten den Text jetzt vielleicht noch einmal, nehmen letzte Korrekturen vor und geben ihn zur Veröffentlichung frei. Die Versuchung ist groß, es ebenso zu machen.

Tatsächlich steht Ihr Artikel jedoch vor einem großen Problem: Ihre Zielgruppe muss ihn im unendlichen Strom der Informationen ausmachen können. Der Artikel sollte daher sofort auffallen, geradezu ins Auge springen. Nur dann besteht die Chance, dass viele Interessenten aufmerksam werden und ihn lesen.

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Die Drei-Sekunden-Herausforderung

„Unser Bewusstsein ist durch eine zeitliche Bühne von etwa drei Sekunden gekennzeichnet“, erklärt der Hirnforscher Ernst Pöppel. „Nur bis etwa drei Sekunden können wir die Zeit exakt überblicken.“ Das Gehirn überprüfe ständig, was es Neues in der Welt gebe, führte der Wissenschaftler in einem Interview mit der WirtschaftsWoche aus: „Ganz unbewusst fallen deswegen alle zwei bis drei Sekunden Entscheidungen: Bleibe ich dran oder wende ich mich einer anderen Sache zu? In etwa wie beim Fernseh-Zapping: Nach drei Sekunden habe ich genug Informationen und kann entscheiden, ob ich umschalte.“

Das gilt auch für den Leser, der durch ein Magazin blättert oder Artikel auf einer Internetplattform überfliegt. Er springt von einem Thema zum nächsten. Sein Wahrnehmungsfenster bleibt jeweils nur drei Sekunden geöffnet.

Ihr Artikel steht somit vor einer „Drei-Sekunden-Herausforderung“: Wie gelingt es, in dieser extrem kurzen Zeitspanne die notwendige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, damit ein Interessent nicht „weiterzappt“?

Sie ahnen, wie entscheidend das vierte Element unserer Erfolgsformel ist: Ein Fachartikel braucht einen Magneten, der die Leser anzieht und in den Text hineinzieht.

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Wie der Magnet funktioniert

Was meine ich mit Magnet? Was genau zieht den Leser an? Es geht hier um die häufig venachlässigten Dinge wie Überschrift, Vorspann, der erste Satz, Zwischenüberschriften oder Bildunterschriften. In der Summe bilden sie den Magneten, der in den Text hineinzieht:

  • Ein potenzieller Leser sieht die Schlagzeile, überfliegt den Vorspann – und entscheidet binnen drei Sekunden, ob ihn das Thema interessiert.
  • Fällt dieses erste Urteil positiv aus, ist er bereit, den Artikel zu prüfen. Jetzt möchte er wissen, ob sich die Lektüre lohnt. Hierzu sieht er sich Zwischenüberschriften, Abbildungen und Bildunterschriften an. Bestätigt sich sein Interesse, fängt er an zu lesen.
  • Die ersten Sätze entscheiden darüber, ob der Interessent weiterliest. Der Einstieg hat daher die Aufgabe, den Leser abzuholen und ins Thema hineinzuführen.

Widmen wir uns also diesen vermeintlichen Nebensächlichkeiten – und stellen den Magneten scharf.

 

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Überschrift und Vorspann – den Leser fangen

Es ist kaum übertrieben, festzustellen: Überschrift und Vorspann entscheiden darüber, ob ein Text gelesen wird.

Ein Magazinredakteur hat gelernt, sich an drei goldene Regeln für Überschriften zu halten. Diese Regeln empfehlen sich ohne Abstriche auch für Fachautoren:

  • Regel 1: Erzeugen Sie Aufmerksamkeit! Mit der Überschrift fangen Sie Ihren Leser. Fesseln kann man in später mit dem Text.
  • Regel 2: Prägnanz ist alles! Mit der Überschrift bringen Sie die Kernaussage Ihrer Geschichte auf den Punkt. D.h. die Überschrift enthält die Botschaft. (Spätestens beim Formulieren der Überschrift merkt man, wenn ein Text keine klare Botschaft hat!)
  • Regel 3: Versprechen Sie in der Überschrift nichts, was der Text nicht halten kann. Wenn Sie den Leser einmal für dumm verkaufen, traut er Ihnen nie wieder.

Wenn Sie Ihren Artikel im eigenen Weblog veröffentlichen, sind Sie in der Gestaltung Ihrer Überschriften frei. Sie können die Überschriften sachlich oder plakativ halten, als Aussage formulieren oder den Leser direkt ansprechen. Beachten Sie jedoch: Aus den Überschriften zieht der Leser stets Rückschlüsse auf die Haltung des Autors. Wenn etwa das eigene Geschäft von Seriosität und Diskretion abhängt, sind Überschriften im Boulevard-Stil sicherlich nicht hilfreich.

Wenn Sie Ihren Artikel einer Redaktion anbieten, haben Sie weniger Freiheiten. Aus einem ganz ähnlichen Grund: Überschriften entscheiden darüber, wie der Leser eine Medienmarke wahrnimmt. Er blättert durchs Heft oder scrollt durch die Seite und bekommt einen Eindruck davon, wie die Redaktion arbeitet, wie sie tickt, was ihr wichtig ist und was ihr nicht so wichtig ist. Für eine Zeitschrift sind die Überschriften Ausdruck ihrer Marke.

Jede Redaktion achtet deshalb darauf, dass die Überschriften externer Autoren zur eigenen Marke passt. Nehmen Sie deshalb eine Ausgabe der betreffenden Zeitschrift zur Hand, um ein Gefühl für die Art der Überschriften zu erhalten. Orientieren Sie sich daran, wenn Sie für Ihren Artikel die Überschrift formulieren.

Zusätzlich zu den drei goldenen Regeln gilt also:

  • Wenn Sie im eigenen Weblog oder einem anderen eigenen Medium publizieren, sollten Sie darauf achten, dass die Überschriften zur Positionierung und dem Image des eigenen Unternehmens passen.
  • Wenn Sie einen Artikel einer Redaktion anbieten, müssen Form und Duktus der Überschrift zur Marke des betreffenden Mediums passen.

Der Vorspann umfasst wenige Zeilen und wird dem eigentlichen Artikel vorangestellt. Seine Aufgabe ist es, den Leser dazu zu verführen, den Artikel zu lesen. Er trägt den Leser über die Schwelle, hinein in den eigentlichen Text.

In einer Tageszeitung hatte der Vorspann früher die Funktion, das Wesentliche des Inhalts ganz knapp wiederzugeben. So hatte ich es seinerzeit auch bei meinem Volontariat gelernt. Nach den Magazinen haben mittlerweile auch die Tageszeitungen begriffen, dass eine einfache Inhaltsangabe zwar Orientierung gibt, jedoch nicht unbedingt zum Weiterlesen reizt.

Inzwischen hat sich hier ein grundlegender Wandel vollzogen. Die Tageszeitungen lernten von den Magazinen, und heute gilt der Grundsatz: Vorspänne sollen Lust auf mehr machen.

Die Herausforderung, auch für Fachautoren, liegt also darin: Nutzen Sie den Vorspann, um den Leser zum Weiterlesen zu verführen. Also zum Beispiel: das Thema anreißen, aber nicht zu viel verraten; das Wesentliche sagen und den Leser auf die Details heiß machen; ein Problem benennen und die Lösung versprechen.

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Der Einstieg – den Leser fesseln

In den ersten Zeilen eines Artikels beweist sich das Können eines Autors. Ein guter Einstieg kann provozieren, durch eine Frage neugierig machen, mit Hilfe einer Metapher ein Bild im Kopf des Lesers entstehen lassen – da gibt es viele Möglichkeiten. Das Thema „Einstieg“ ist ein weites Feld. Für den alltäglichen Gebrauch hat sich jedoch eine einfache Regel bewährt, mit der sich eigentlich immer ein brauchbarer Einstieg erreichen lässt:

 

Beginnen Sie den Artikel mit einem Aspekt, der den Leser wirklich bewegt. Wo verspürt er einen echten Leidensdruck? Holen Sie den Leser bei diesem „Schmerzpunkt“ ab – und signalisieren Sie, dass der Artikel hierfür einen Lösungsweg beschreibt.

Der Einstieg hat die Aufgabe, den Leser abzuholen und in das Thema hineinzuziehen. Das gelingt am einfachsten, wenn man den Leser dort anspricht, wo ihn der Schuh drückt – bei einem echten Leidensdruck.

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Fangnetz für den flüchtigen Leser

Nur selten besteht ein Artikel ausschließlich aus einem Text. In der Regel ergänzen ihn verschiedene Elemente wie Textkästen, Checklisten, Grafiken, Bilder oder Tabellen. Diese Elemente haben zum einen die Funktion, den Artikel optisch freundlich zu gestalten. Ein reiner Text – der Redakteur spricht von „Textwüste“ – schreckt den Leser ab.

Zugleich sind sie aber auch Teil des Magneten: Viele Leser blättern durch ein Magazin oder scrollen durch eine Internetseite und bleiben zunächst an den optischen Elementen hängen. Diese springen sofort ins Auge – und sollten daher so gestaltet sein, dass sie im Zusammenspiel mit Überschriften, Bildunterzeilen und Zwischenüberschriften Interesse am Inhalt wecken.

Neben dem eigentlichen Artikel gibt es somit eine zweite Informationsebene, die eine Redaktion bewusst nutzt, um den flüchtigen Leser beim Durchblättern einzufangen.

 

Elemente wie Fotos und Grafiken bilden zusammen mit Überschriften, Zwischenüberschriften und Unterzeilen eine eigene Informationsebene. Sie spiegelt in plakativer Form wesentliche Inhalte des Beitrags wider: In Sekundenschnelle kann der Leser erkennen, ob es sich lohnt, in den Text einzusteigen.

Mit der zweiten Informationsebene legen Sie also eine Art Fangnetz für den flüchtigen Leser aus. Bei diesem Arbeitsgang hilft es wieder, einen bereits publizierten Artikel als Vorlage zu nutzen. Prüfen Sie, wie die Redaktion dort den Text gestaltet hat und orientieren Sie sich hieran. Achten Sie auf folgende Einzelheiten und passen Sie Ihren Artikel entsprechend an:

  • Wie sind die Überschriften gemacht? Wie lange sind sie? Hat die Hauptüberschrift eine Dachzeile oder eine Unterzeile?
  • Gibt es einen Vorspann? Wie ist er formuliert? Welche Länge hat er?
  • Wo steht der Autorenname? Am Anfang oder am Schluss des Artikels?
  • Stehen beim Autorennamen auch Funktion, Adresse und E-Mail?
  • Gibt es ein Kurzporträt des Autors? Mit oder ohne Foto? Wieviel Zeilen hat das Kurzporträt, wie ist es aufgebaut?
  • Hat der Artikel Zwischenüberschriften? Wenn ja, wie lange sind sie?
  • Wie sehen die zusätzlichen Elemente (Textkasten, Checkliste, Grafik) aus, wie sind sie aufgebaut?
  • Wie lang darf ein Textkasten ungefähr sein, damit er die Seite nicht sprengt?
  • Haben die Abbildungen erklärende Unterzeilen? Wie lange dürfen diese sein?

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Ihre Aufgabe

Stellen Sie den Magenten für Ihren Artikel scharf. Nehmen Sie hierzu die Perspektive des flüchtigen Lesers ein und überarbeiten Sie aus diesem Blickwinkel Einstieg und zweite Informationsebene:

  • Formulieren Sie einen Einstieg, der den Leser bei einem Leidensdruck abholt und direkt zur Botschaft Ihres Artikels hinführt.
  • Ergänzen Sie den Text durch einen Textkasten, eine Checkliste oder eine Abbildung (allerdings nur, wenn der Leser davon wirklich profitiert). Eine gute Grafik kann zum Beispiel die Botschaft des Artikels unterstreichen oder die Vorgehensweise bei einer Problemlösung veranschaulichen.
  • Überprüfen Sie Überschrift und Vorspann des Artikels: Treffen sie das Thema und machen sie neugierig?
  • Achten Sie auf die Aussagekraft der  Zwischenüberschriften. Eine gute Zwischenüberschrift gliedert nicht nur den Text, sondern enthält auch eine inhaltliche Aussage, die zum Weiterlesen reizt.
  • Schreiben Sie zu jeder Abbildung eine erklärende Unterzeile. Nur so kann der Leser die Kernaussage etwa einer Grafik sofort verstehen.

Wie es weitergeht

Bald haben Sie es geschafft! In der nächsten Lektion stellen Sie den Artikel fertig, indem sie ihn noch einmal kontrollieren und ihm den letzten Schliff verpassen. Die E-Mail mit dem Zugang erhalten Sie in zwei Tagen.