
Bevor Sie das Adjektiv töten …
Die meisten Adjektive sind unnötig und gehören gestrichen. Doch bevor wir ein Adjektiv aus unserem Text entfernen, sollten wir es erst noch strategisch nutzen.
Mark Twain schrieb einmal an einen 12-jährigen Schüler aus Texas: „Wenn du ein Adjektiv siehst, töte es. Vielleicht nicht in jedem Fall. Aber töte die meisten – dann ist der Rest wertvoll.“
Leider ignorieren viele Autorinnen und Autoren diesen Rat. Sie glauben, ihre Botschaften und Aussagen mit Adjektiven verstärken zu können – und erreichen damit eher das Gegenteil. Warum das so ist, hat Matthias Wiemeyer, Mitinhaber der Schweizer Schreibschule schreibszene, in seinem Blogbeitrag „Was Sie von Mark Twain über Adjektive lernen können“ sehr schön beschrieben.
Unnötige Adjektive zu streichen, ist eine bekannte Schreibregel. Weniger bekannt ist eine zweite Regel, die einen neuen Blickwinkel auf das Adjektiv eröffnet: „Hinterfragen Sie das Adjektiv, bevor Sie es töten.“
Schritt 1: Überflüssige Adjektive identifizieren
Gehen Sie Ihren Text durch und finden Sie heraus, welche Adjektive überflüssig sind. Ein Adjektiv ist dann notwendig, wenn es der Unterscheidung oder der Einordnung dient – zum Beispiel um auszudrücken, dass ein Unternehmen rote oder schwarze Zahlen schreibt. Manchmal verleiht ein Adjektiv dem Text tatsächlich Kraft; auch dann lassen Sie es stehen.
Cordt Schnibben, Journalist und Leiter der Online-Journalistenschule Reporterfabrik, nennt eine Faustregel: Adjektive sind gut, wenn sie dem Substantiv widersprechen (zum Beispiel böses Lächeln). Niemals jedoch sollte man Adjektive verwenden, die die Eigenschaft des Substantivs wiederholen (zum Beispiel weißer Schimmel).
Schritt 2: Hinterfragen, dann töten
In Ihrem Text stehen Formulierungen wie innovative Methode, spannendes Projekt, kreatives Team, dynamisches Unternehmen, nachhaltiges Produkt oder moderner Führungsstil. Indem Sie diese Adjektive hinterfragen, entdecken Sie die Geschichte hinter dem Adjektiv. Es entsteht neues Wissen, mit dem Sie den Text anreichern und auf eine höhere Qualitätsstufe heben können. Der Artikel wird anschaulicher, präziser und geht noch mehr in die Tiefe.
Fragen und überlegen Sie also:
- Was genau macht die Methode innovativ? „Unsere Methode verkürzt die Bearbeitungszeit um 30 Prozent und spart 15.000 Euro pro Jahr – ein Schritt, den bisher niemand in der Branche gewagt hat.“
- Warum war das Projekt spannend? „Unsere Ausgangssituation: Der Kunde stand kurz vor einem Fehleinkauf im Wert von drei Millionen Euro. Innerhalb von zwei Wochen haben wir eine neue Entscheidungsgrundlage erarbeitet – und damit einen hohen Verlust verhindert.“
- Woran zeigt sich, dass das Team kreativ ist? „Unser Team hat das Problem mit einer unkonventionellen Idee gelöst: Statt einer teuren Neuentwicklung haben wir ein bestehendes System umgebaut – eine einfache Lösung, die niemand auf dem Schirm hatte.“
- Was bedeutet es konkret, dass das Unternehmen dynamisch ist? „Wir reagieren schneller als der Markt: Innerhalb von 48 Stunden nach der Bekanntgabe neuer Vorschriften hatten wir bereits die Strategie für unsere Kunden angepasst.“
- Was macht das Produkt nachhaltig? „Unsere Verpackung besteht zu 100 Prozent aus recyceltem Material und spart jährlich 50 Tonnen Plastik ein.“
- Wie zeigt sich moderner Führungsstil in der Praxis? „Bei uns gibt es keine starren Hierarchien. Jede Woche trifft sich die Geschäftsführung mit Mitarbeitern aus allen Abteilungen, um Verbesserungsvorschläge zu besprechen – oft werden sie innerhalb weniger Tage umgesetzt.“
Verhaften Sie das Adjektiv, verhören Sie es, entlocken Sie ihm seine Geschichte. Und dann tun Sie, was Mark Twain rät: Töten Sie es!
Impuls
Hinterfragen Sie Adjektive.
Das Hinterfragen von Adjektiven ist eine gute Methode, um einem Artikel mehr Tiefgang zu geben. Gerade in Zeiten, in denen künstliche Intelligenz das Internet mit mittemäßigem Content überschwemmt, können Sie damit einen Unterschied machen. Mehr dazu in meinem Blogartikel: „Wenn jetzt alle mit ChatGPT Fachartikel schreiben: So schlagen Sie die künstliche Intelligenz“.